Interview

Wahlsieg von Zohran Mamdani: Ein demokratischer Sozialist?

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Zohran Mamdani, nun frisch gewählter Bürgermeister von New York City.
Zohran Mamdani

In New York City gewinnt Zohran Mamdani als erster Muslim die Wahl zum Bürgermeister. Der hpd sprach mit dem Politikwissenschaftler Armin Pfahl-Traughber über demokratischen Sozialismus und Vorwürfe des Antisemitismus beziehungsweise Islamismus.

hpd: In New York wurde Zohran Mamdani zum Bürgermeister gewählt. In deutschen Medien war im Vorfeld oft die Rede von einem "selbst erklärten" demokratischen Sozialisten, ähnlich wie damals auch bei Bernie Sanders. Warum ist dieser Zusatz selbst erklärungsbedürftig?

Armin Pfahl-Traughber: Zunächst möchte ich dazu meine berufsbedingte Perspektive nennen, bin ich doch als Hochschullehrer auch für "Politische Ideengeschichte" zuständig. Es gibt ebendort die Bezeichnung "demokratischer Sozialismus" für eine politische Strömung. Irritierend ist für mich, dass auch Journalisten der "Qualitätspresse" derartige Zusammenhänge offenbar nicht kennen. Nur so kann ich mir die inflationäre Bezeichnung "selbst erklärt" vor dem "demokratischen Sozialisten" erklären.

Genau, denn im öffentlichen Bewusstsein ist "Sozialismus" immer mit dem Hauch der DDR versehen. Aber vielleicht fangen wir mit einer ordentlichen Definition der Begriffe an, zumindest für den Rahmen dieses Gesprächs. Also worüber reden wir, wenn wir sagen "Demokratie" oder "Sozialismus"?

Im "Rahmen dieses Gesprächs" ist hier eine wichtige Formulierung, werden doch beide Begriffe auch in der Politikwissenschaft unterschiedlich gedeutet. Daher skizziere ich hier nur meine persönliche Auffassung, die für unsere Kommunikation dann prägend ist. Unter "Demokratie" verstehe ich ein besonderes politisches Ordnungsmodell, wofür ansonsten die Bezeichnungen "moderne Demokratie" oder "demokratischer Verfassungsstaat" genutzt werden. Dabei geht es nicht nur um das "Mehrheitsprinzip", es soll außerdem an Gewaltenteilung, Grundrechte, Pluralismus und Rechtsstaatlichkeit gebunden sein. Ansonsten könnte sich auch eine Diktatur, sofern sie sich angeblich oder tatsächlich auf eine Mehrheit stützt, als Demokratie bezeichnen.

Bezogen auf die Definition von "Sozialismus" würde ich formulieren wollen: Gemeint sind alle politischen Auffassungen und Handlungen, welche die soziale Gleichheit als einen konstitutiven und primären politischen Wert ansehen. Diese Definition schließt ein, dass es dafür sowohl eine demokratische wie eine diktatorische beziehungsweise extremistische Form geben kann. Bekanntlich benannte sich ja auch die DDR-Diktatur als "Deutsche Demokratische Republik".

Entscheidend bei der Differenzierung ist hier, welche Bedeutung der Freiheit in einer Sozialismuskonzeption zugeschrieben wird. Darüber lassen sich dann auch entsprechende Differenzierungen vornehmen. Es gibt demnach sehr wohl entsprechend der genannten Demokratiedefinition einen demokratischen Sozialismus.

Wie würden Sie denn bilanzierend "demokratischen Sozialismus" definieren?

Als Formulierung schlage ich – auch hier wieder als persönliche Auffassung eines Politikwissenschaftlers – vor: Es geht um eine politische Einstellung beziehungsweise Konzeption, die ein mehr an sozialer Gleichheit in der Gesellschaft umsetzen möchte, ohne dabei die genannten Basiswerte einer modernen Demokratie zu negieren. Demgemäß kommt dem hier letztgenannten Aspekt gegenüber der sozialen Gleichheit ein Vorrang zu. Eine Ablehnung des Kapitalismus kann, muss aber nicht zum Programm eines solchen demokratischen Sozialismus gehören. Die genannte Auffassung ist offen für unterschiedliche Modelle, wozu etwa auch ein Keynesianismus im sozialstaatlichen Sinne zählen würde.

Welche historischen Vorbilder für einen demokratischen Sozialismus gibt es und wo?

Armin Pfahl-Traughber
Armin Pfahl-Traughber.
Foto: privat

Bei einer Antwort muss man in der politischen Ideengeschichte weiter zurückgehen: Die meisten Frühsozialisten wie aber auch Marx/Engels gingen von der Notwendigkeit einer Revolution und der Etablierung einer Diktatur zumindest als Zwischenstadium vor dem Kommunismus aus. Für individuelle Freiheit und Grundrechte hatten sie allenfalls einen unterentwickelten Sinn, zumindest bezogen auf Andersdenkende zu ihrer eigenen Gesellschafts- oder Sozialismusvorstellung. Zu einer dezidierten Änderung kam es hier durch Eduard Bernstein, der heute ein weitgehend vergessener Denker vom Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts ist. Er lebte damals im Exil in England, dem seinerzeit am weitesten entwickelten kapitalistischen Land. Mit Blick auf die Gegebenheiten erkannte Bernstein, dass viele Prognosen von Marx nicht zutrafen. So kam es etwa nicht zur Verelendung des Proletariats, auch nicht zum Zerfall des Kapitalismus. Gleichwohl hielt Bernstein am Ideal des Sozialismus fest, wobei er dorthin durch längerfristige Reformen und einen schrittweisen Prozess kommen wollte, einhergehend mit einer erhofften parlamentarischen Mehrheit nach entsprechenden Wahlerfolgen.

Diese Auffassung löste dann heftige Kritik unter den sich revolutionär verstehenden Kräften der damaligen SPD aus. Insbesondere Rosa Luxemburg warf Bernstein Verrat an den Idealen des Marxismus vor. Gleichzeitig forderte sie weiterhin eine gewalttätige Revolution, einhergehend mit dem Grundprinzip einer Mehrheitszustimmung aus dem Proletariat, aber nicht aus dem ganzen Volk. Damit lief ihre Auffassung auch auf eine sozialistische Diktatur hinaus, die lediglich anderen sozialistischen Kräften politische Wirkungsmöglichkeiten erlauben wollte. So ist auch ihre Auffassung "Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden" zu verstehen, sie galt nicht als Grundprinzip, sondern nur für das binnen-sozialistische Spektrum. Insofern war Luxemburg im vorgenannten Sinne weder eine demokratische Kommunistin noch eine demokratische Sozialistin.

Sie hatten gerade auch auf die Weimarer Republik angespielt, da gibt es vielleicht auch noch einen interessanten Anknüpfungspunkt, denn in der Weimarer Republik hatten wir die KPD, die Kommunistische Partei Deutschlands, und die ist dann spätestens ab 1928 unter sowjetischen beziehungsweise stalinistischen Einfluss gekommen und hat sich dann auch gegen die SPD als Hauptfeind gewendet. In ihrem Selbstverständnis hat sie sich aber als demokratisch und sozialistisch gesehen. Wie passt das zusammen?

Die KPD hat von Anfang an die Weimarer Republik abgelehnt, für sie war dies ein bürgerliches und kapitalistisches System. Damit nahm man bereits vor der "Bolschewisierung" beziehungsweise "Stalinisierung" eine dezidiert antidemokratische und antirepublikanische Position ein. Offen plakatierte die KPD auch ein "Weg mit dem System" in späteren Wahlkämpfen. Ihre Auffassung von einer "Diktatur des Proletariats" entsprach dabei einer "Diktatur der Partei", ganz im Sinne der damaligen Sowjetunion. Die Begriffe "Demokratie" und "Sozialismus" wurden dann nur in diesem Sinne uminterpretiert.

Prof. Dr. Dipl.-Pol., Dipl.-Soz. Armin Pfahl-Traughber ist hauptamtlich Lehrender an der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Brühl, Lehrbeauftragter an der Universität Bonn und Herausgeber des "Jahrbuchs für Extremismus- und Terrorismusforschung". Seine Arbeitsschwerpunkte sind Antisemitismus, Extremismus, Ideengeschichte, Religion, Terrorismus und Totalitarismus. Er ist Mitglied im Beirat des Bündnisses für Demokratie und Toleranz und gehörte beiden "Unabhängigen Arbeitskreisen Antisemitismus" des Deutschen Bundestags an.

Und weil sie gerade sagten, KPD und Rosa Luxemburg, da gibt es heute auch wieder einen Anknüpfungspunkt, denn die Stiftung der Partei Die Linke benennt sich ja nach Rosa Luxemburg. Schließt sich da der Kreis?

Ja, in gewisser Weise schon. Dazu muss man bezogen auf die geschichtliche Entwicklung aber noch einmal zurückgehen: Die Linke ist strukturell tatsächlich aus der SED hervorgegangen, hat sich aber politisch schon in eine andere Richtung entwickelt. In der DDR wurde übrigens noch der "demokratische Sozialismus" verdammt, galt er doch als "Ideologie des Sozialreformismus" oder "Spielart des Antikommunismus". Derartige Auffassungen richteten sich insbesondere gegen linke Sozialdemokraten, etwa Willy Brandt in Deutschland oder Olof Palme in Schweden. Auf deren Auffassungen bezieht sich Die Linke der Gegenwart aber allenfalls formal gelegentlich in Anspielungen und nicht prinzipiell als eigene Positionierung. Demgegenüber rechnet man die erwähnte historische KPD im Parteiprogramm dem "linksdemokratischen Denken" zu, was angesichts der Ausrichtung dieser Partei nicht nur aus ideengeschichtlicher Perspektive erstaunt.

Wir waren ja in New York gestartet und deswegen noch mal zurück zu Mamdani. Wie muss man sich Mamdani auf einem europäischen Parteienspektrum eingeordnet vorstellen?

Er bezeichnet sich selbst als demokratischer Sozialist und entsprechend kann man ihn auch einordnen. Die Behauptung von Donald Trump, er sei "Kommunist" ist so falsch, dass diese Bewertung noch nicht einmal einer Begründung bedarf. Mamdani fordert für New York bestimmte Reformen in sozialen Zusammenhängen, das entspricht aus europäischem Blickwinkel eher linken sozialdemokratischen Positionen, etwa im Sinne der skandinavischen Wohlfahrtsstaaten. Darin sieht auch Bernie Sanders ein politisches Vorbild. Und an dieser Ausrichtung eines demokratischen Sozialismus sind beide US-Politiker orientiert. Man muss dazu aber noch die Bemerkung hinterherschicken, dass sie die dortige Entwicklung nicht gar so intensiv verfolgt und analysiert haben. Aber das ist vielleicht ein anderes Thema…

Ansonsten gehört Mamdani auch den Democratic Socialists of America an, einer kleinen Organisation, die 1982 als eine Art von längerfristiger Nachfolgeorganisation der Socialist Party of America gegründet wurde. Ihr schlossen sich in den letzten Jahren viele unterschiedliche Linke an, wozu auch dogmatische und sektiererische Akteure gehörten, die wiederum zu Fraktionierungen und Zersplitterung beitrugen. Dadurch ist diese Gruppierung, die keine Partei ist, in der aktuellen Umbruchphase in den USA nicht wirklich handlungsfähig. Aktivisten in New York haben indessen Mamdani intensiv unterstützt.

Dann möchte ich noch einen Aspekt ansprechen, denn bei Mamdani wurde seine muslimische Identität auch sehr stark in den Vordergrund gerückt und es gab immer wieder Vorwürfe, er sei wahlweise Antisemit oder Islamist. Haben Sie dafür irgendwelche Hinweise gefunden?

Beide Behauptungen kursierten in den Kampagnen seiner Gegner, in dieser Pauschalität treffen sie aber nicht zu. Es gibt indessen folgenden problematischen Gesichtspunkt bei Mamdani: Er hat sich schon sehr früh in "pro-palästinensischen" Kontexten engagiert, wozu auch zumindest islamismus-nahe Akteure gehörten. Eine entsprechende Sensibilität fehlt ihm bislang wohl, denn bei aller berechtigten Kritik an der Netanjahu-Regierung ergeben sich daraus keine Notwendigkeiten für eine Solidarisierung mit solchen Zusammenhängen.

Auch besteht eine eher israelfeindliche Einstellung bei Mamdani, die aber nicht in eine antisemitische Haltung umgeschlagen ist. Ansonsten wäre es schon sehr verwunderlich, wenn ihn mehr als ein Drittel der Juden in New York wählen wollten. Zumindest kamen einschlägige Umfragen vor der Wahl zu diesem Ergebnis. Bei den jüngeren Juden soll demnach übrigens die Zustimmung bei weit über 50 Prozent gelegen haben. Es ist kaum vorstellbar, dass ein Antisemit von all diesen Juden gewählt würde.

Vielen Dank für dieses Gespräch.

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